Extinktion of Rebellion

Den Medien gilt Extinktion Rebellion (XR) als radikale Klimabewegung. Was will diese Gruppe wirklich, und in wessen Interesse ist sie unterwegs?

Die »Klimabewegung« Extinktion Rebellion (XR) inszeniert sich als Endzeitprojekt: »Wir sind die letzte Generation vor der Auslöschung der Menschheit!« Die Klimakatastrophe wird die Menschen vertreiben und töten, aber sie wird »die Menschheit« nach sozialer Lage und Wohnort extrem unterschiedlich treffen. Roger Hallam, XR-Mitgründer und »nationaler strategischer Aktionskoordinator«, sieht die Lage als ein »Kriegsszenario«. Ihm geht es um »Schmerz und Opferbereitschaft«. Die XR-Aktivistin Jay Griffiths sagt, die »aufopferungsvolle Idee der Festnahme bildet den Kern der Strategie von XR und verleiht innere Stärke«. Hallam ruft: »Wir brauchen drastische Maßnahmen. Einige werden sterben!« Man muss vermutlich froh sein, wenn junge XR-Aktivistinnen nur in Polizeigewahrsam kommen und sich nicht für ihre Gurus in den Tod stürzen.

XR Hamburg war nicht so opferbereit, als sie sich kürzlich von einer Sitzblockade distanzierten, an der sie selbst teilgenommen hatten. Die Polizei wandte brutale »Schmerzgriffe« an, um die Blockade abzuräumen.  Jemand rief: »Fuck the Police!« Beleidigung der Polizei sei Gewalt, schimpfte XR Hamburg und verließ die Blockade. Die XR-Ästhetik schwankt zwischen Hippiekitsch und blutrünstigem Melodram. Die politische Strategie ist von umwerfender Schlichtheit, Staatsgläubigkeit und Unterwerfungsbereitschaft. XR will so lange blockieren, bis die Regierung nachgibt und undefinierte »Bürgerversammlungen« installiert, zusammengesetzt aus einer »repräsentativen Auswahl«. Wer sucht sie aus? Die Bürgerversammlungen sollen Regierungen nicht stürzen, sondern – »beraten«. XR ist die kürzeste Verbindung zwischen Apokalypse und Reformismus. Erklärtermaßen können alle bei XR mitmachen, auch Rechte, Rassist*innen, Sexist*innen und Antisemit*innen. Schon stellen sich auch Anhänger*innen der Piraten, von Diem, vom gescheiterten Wagenknecht-Projekt »Auf- stehen« und von den Montagsmahnwachen von 2014 ein.

XR hat weder eine linke Gesellschaftsanalyse noch ein kritisches Verhältnis zu Staat und Kapital. Im Gegenteil: »We love the Police« und enge Kooperation mit Konzernen. Aus einigen XR-Gruppen wurde hinausgeworfen, wer über den Zusammenhang von Kapitalismus und Ökologie sprechen wollte. Der Kapitalismus ist ein Gewaltverhältnis, das auf grenzenlose Verwertung der Arbeitskraft und der Naturressourcen setzt; dieser Gewalt unterwirft sich XR und kennt, statt der inbegriffenen kapitalistischen Produktionsweise, nur ein böses »toxisches System«. »Wir alle sind schuld« an der drohenden »Auslöschung« der Menschheit, sagt XR und wirft Ausbeuter*innen und Erniedrigte in einen Topf.

Der theoretische Hohlraum im Kopf der »Bewegung« wird mit irrationaler Ideologie gefüllt. XRs »gewaltfreie« Vorbilder sind Gandhi und Martin Luther King. Gandhi empfahl den Jüdinnen und Juden 1938, sich auf keinen Fall zu wehren. Sie sollten »sich selbst dem Messer des Schlächters anbieten« und »von den Klippen ins Meer stürzen«. Martin Buber, der sich soeben aus Nazi-Deutschland nach Jerusalem gerettet hatte, quälte sich wochenlang mit seiner Kritik an Gandhi.

Für Faisal Devji, XR England, ist Gandhi der »wichtigste Vorläufer des heutigen ökologischen Denkens«. Er schätzt an ihm, dass er das »Recht auf Leben« als oberstes Recht ablehnt und an seine Stelle die »Pflicht« gesetzt habe, »deren vorrangige und daher selbstlose Tugend der Tod ist«. Wörtlich bedauert Devji: »Die Pflicht über Rechte zu stellen und den Tod über das Leben, wird heutzutage als islamistische Militanz umgedeutet.« Aber der »Drang nach Leben« führe zu Gewalt. Das Gewaltloseste seien »Opferpflicht« und »Tod«.

Sein zweites großes Vorbild hat XR offensichtlich nicht verstanden. Meistens wird ja Martin Luther Kings »I had a dream«-Rede von 1963 abgespielt. Aber 1967 sagte King: »Ich musste erkennen, wie mein Traum zum  Alptraum wurde, als ich durch die Ghettos unseres Landes ging und sah, dass meine schwarzen Brüder und Schwestern auf einer einsamen Insel der Armut dahinsiechen – in der Mitte eines riesigen Ozeans von materiellem Wohlstand.« Immer radikaler stellte er sich gegen den Vietnamkrieg, gegen Armut und Rassismus und organisierte die Poor People’s Campaign, einen Marsch der Armen nach Washington: »Wir müssen die Machtstrukturen massiv konfrontieren.« Bald darauf wurde er ermordet.

XR hat zu vielem angeblich keine Meinung und ist zum Beispiel nicht gegen Atomenergie. Die Bürgerversammlungen sollen darüber entscheiden. Die Erkenntnisse kritischer Wissenschaft und jahrzehntelangen ökologischen Widerstands werden über Bord geworfen. Es gibt auch kein Bewusstsein bei XR darüber, auf wessen Schultern eine echte neue Bewegung wirklich stünde. Arbeiter*innen Bewegung, Frauenbewegung und Ökologiebewegung spielen keine Rolle, denn XR ist eine ahistorische Kampagne.

Hätten wir nach den Glaubenssätzen von XR gehandelt, hätten wir in den Siebzigern und Achtzigern nicht Dutzende von geplanten Atomkraftanlagen verhindert. Unser Widerstand besaß vielfältige Aktionsformen von gewaltfrei bis klug militant. Wir waren in der Lage, die Aktionsformen dem Zweck anzupassen und zwischen Sachen und Menschen zu unterscheiden. Unsere Grenze war Gewalt gegen Personen. Wir stritten uns, aber wir distanzierten uns nicht voneinander. Als Bäuerinnen und Winzer in Wyhl 1975 den Bauzaun niederrissen, als wir 1976 und 1977 versuchten, die Bauplätze für neue Atomkraftwerke in Brokdorf und Grohnde zu besetzen, als wir ab 1985 in Wackersdorf eine  Wiederaufbereitungsanlage verhinderten – immer beruhte der Erfolg, sofern es gelang, auf Analyse, Aufklärung und einer Vielfalt von Aktionen.

Inzwischen ist XR Deutschland mit dem Versuch aufgeflogen, Teilnehmer*innen der Berliner Blockaden auszuforschen. In einer XR-Umfrage (»Rebel Survey«) wurden Daten wie E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Zugehörigkeit zu politischen Gruppen, die Bereitschaft zu politischen Aktionen abgefragt und Fragen gestellt wie: »Bist du bereit, ins Gefängnis zu gehen?« Die Befragten waren persönlich identifizierbar und lieferten politische Einstellungen und Radikalitätsbereitschaft. Was für ein Service für Geheimdienste! Nach heftigen  Protesten will XR »alle sensiblen Daten« im Internet gelöscht und auf einen lokalen Server übertragen haben.

Mancherorts wird zu Beginn der Treffen meditiert. »Das war ein Fall für den Sektenbeauftragten«, berichtete eine Teilnehmerin, die auch störte, dass Anleiter wie Prediger aufträten. Eingebläut würden die »zehn Grundsätze« von »starker Gemeinschaft« und »Priorität der Aktion«. Nirgendwo wurde von intellektuellen Anregungen berichtet oder von politischer Bildung. Zur Kultur von XR gehört gemeinsames Weinen und Trauern, der Gong und das Ommm. Der Mensch ist nicht mehr Verstand und Gefühl, sondern nur noch Emotion. Da XR vor allem auf junge Leute zielt, erfüllt das einen Zweck: Eine hochemotionalisierte, junge Bewegung ist eine manipulierbare Bewegung. In wessen Interesse?

Aus der staatstreuen Gewaltfreiheit lässt sich was machen, mögen modernere Teile des Kapitals gedacht haben. Im Frühjahr 2019 scharten Gail Bradbrook, XR-Strategin, Mitgründerin und Finanzchefin, und Fiona Ellis in London 20 Firmenvertreter*innen von Unilever bis Body Shop um sich und gründeten Extinktion Rebellion Business. Vielleicht war es auch andersherum. Aber nach heftiger Kritik musste die Website vom Netz genommen und das Logo gelöscht werden. Bradbrook betonte aber, dass man auf die Expertise aus Finanz- und Geschäftswelt nicht verzichten wolle und auch künftig eng zusammenarbeite.

Die politischen Positionen, Handlungsanweisungen, Logos und Maskeraden von XR kommen aus der Zentrale in England. XR ist keine Graswurzelbewegung, sondern eine Gründung wie aus der Retorte. Und woher kommt das Geld? Während einige XR-Orts-und Regionalgruppen oldschoolmäßig Geld sammeln, bekommen andere auf Antrag zwischen 5.000 und 50.000 Euro aus Stiftungen wie dem Climate Emergency Fund aus den USA (»CEF supports only nonviolent, legal activities«), in dem auch Kapital aus Ölgeschäften steckt. Natürlich werde die Arbeit dadurch nicht beeinflusst, sagt der Pressesprecher von XR Deutschland. Und die Erde ist eine Scheibe.

Modernere Fraktionen des Kapitals wollen die drohende Klimakatastrophe zu ihren Gunsten nutzen. Sie möchten neue Produkte und Technologien mittels modernster Öko-PR verkaufen. Mit einer »eigenen« Klimabewegung lässt sich die Stimmung einer Gesellschaft beeinflussen. Das hat Vorläufer: Auf die Anti-AKW-Bewegung versuchte das Batelle-Institut, Einfluss zu nehmen. Nach der Katastrophe von Seveso forschte die PR-Agentur Hill & Knowlton die Ökologiebewegung aus. Aber warum sich mit störrischen, unabhängigen Widerstandsbewegungen auseinandersetzen, wenn man sich eine zwar sektenhaft-pathetische, aber letztlich staatsgläubige, kapitalismusverträgliche und handzahme Bewegung basteln kann?

Wie gut, dass es – bei aller Kritik – den Widerstand im Hambacher Forst, Ende Gelände und Fridays for Future und andere Projekte gibt. Denn ohne Unabhängigkeit und das Wissen um den notwendigen Eingriff in die Produktion und die Auseinandersetzung mit Staat und Kapital wird die Klimakatastrophe nicht zu mildern sein.

Anmerkungen und Quellen

von J.Ditfurth – Von Jutta Ditfurth ist kürzlich das Buch Haltung und Widerstand. Eine epische Schlacht um Werte und Weltbilder erschienen (Osburg-Verlag)

Webseite der misteriösen radikalen Klimabewegung: https://extinctionrebellion.de/


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