Demos gegen rechts

Es ist beachtlich und gut, wenn Hunderttausende gegen faschistische Planspiele und Größenwahn auf die Straßen gehen. Ob es beachtet wird – von Wählern, Parteien oder Wirtschaftskapitänen – ist offen, und viel spricht nichts dafür. Unverändert liegt die AfD am Sonntag in den meisten Umfragen bei 22 Prozent der Stimmen, die Koalitionsparteien kommen auf gerade ein Drittel, CDU und CSU auch.

Die Regierung probiert es dennoch mit »Augen zu« – offenbar auch viele Demonstranten: Klar, es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen den Deportationsphantasien, die in der AfD, aber auch in CDU/CSU und WerteUnion seit Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten immer wieder aufflackern, und dem, was SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei der Migrantenbekämpfung durchsetzen. Aber das am Donnerstag von ihnen beschlossene Gesetz, mit dem Abschiebungen beschleunigt und erweitert werden sollen, zielt auch auf die »Remigration« von immerhin rund 300.000 Menschen. Viel mehr verlangt die AfD öffentlich auch nicht, etwas anderes will Björn Höcke auch nicht gemeint haben, als er »wohltemperierte Grausamkeit« bei staatlicher Menschenjagd und Rauswurf ins Spiel brachte. Ihm ist nicht zu trauen? Dafür dem Abschieber »im großen Stil« Olaf Scholz? In Frankreich gingen am Sonntag landesweit gegen das dortige Zuwandererbekämpfungsdekret immerhin mehr als hunderttausend Menschen auf die Straße. Hierzulande fragen lediglich einige Migranten in Medien, warum jemand vom Potsdamer Treffen überrascht ist. Sie kennen, was dort zur Sprache kam, seit langem – wie jeder, der lesen kann und hören will.

Die Großdemonstrationen verstellen insofern den Blick auf die Lage und auf andere Proteste. Der amtliche Kriegs- und Aufrüstungsfanatismus, für dessen Unterstützung vor zwei Jahren nach dem Angriff ebenfalls Hunderttausende auf die Straße gingen, steckt in der üblichen deutsch-imperialistischen Sackgasse: Die Großmäuligkeit, mit der die Faschistenfreunde in Kiew durch Berlin zum Sieg über Russland und dessen Ruin geführt werden sollten, ist verflogen. Es herrschen selbstfabrizierter »wirtschaftlicher Stillstand« (Bund der Deutschen Industrie) und groteske »Ampel«-Versuche, die Flut des Unmuts mit fiskalischen Schöpflöffeln zu bekämpfen. Die Bauern- und Spediteursproteste reißen nicht ab, dafür geht scheinbar auf einmal etwas bei den Lokführern. Das Kabinett erlebt seinen »Gelbwesten«-Moment, das aber ist der größte anzunehmende Unfall. Der oberste Auftrag lautet: Nicht einen Hauch von Klassenkampf zulassen.

So war klar, dass eine linke antifaschistische Demonstration für Frieden und gegen sozialen Kahlschlag, wie die zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 14. Januar in Berlin, von einem Polizeimob überfallen werden muss. Das war im Herbst reichlich geprobt worden.

Die Proteste gegen rechts gewinnen weiter an Zulauf. Auch an diesem Wochenende dem 21. bis 22.01.2024 gingen in zahlreichen Städten der Bundesrepublik Zehntausende Menschen unter eher vagen Überschriften wie »Demokratie verteidigen« oder »Gemeinsam gegen Hass und Hetze« auf die Straße. Fast überall kamen erheblich mehr, als erwartet worden waren. Nach Zählungen der Polizei und der Veranstalter von Samstag abend hatten bis zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens 300.000 Menschen bundesweit demonstriert. Das Netzwerk »Campact« sprach von insgesamt rund einer halben Million Teilnehmenden am Freitag und Sonnabend. Für Sonntag wiederum waren weitere Großdemonstrationen geplant, unter anderem in Berlin, München, Köln und Dresden. In der bayerischen Landeshauptstadt wurde die Kundgebung aus Sicherheitsgründen abgebrochen. Die Veranstalter erklärten, es seien mehr als 200.000 Menschen am Siegestor. Die Polizei sprach von mehr als 80.000.

Allein in Frankfurt am Main und in Hannover waren am Sonnabend jeweils 35.000 Menschen auf der Straße. In Karlsruhe kamen nach Angaben der Polizei statt der angemeldeten 1.000 Demonstranten etwa 20.000. In Dortmund gab die Polizei die Teilnehmerzahl mit 30.000 an. Vor dem Rathaus in Westerland auf der Nordseeinsel Sylt versammelten sich nach Angaben der Veranstalter 1.000 Menschen. Auslöser der Proteste sind die Berichte über ein Treffen von extrem rechten Politikern aus der CDU und der AfD sowie des rechten Sammelbeckens Werteunion e. V., Unternehmern und Faschisten am 25. November bei Potsdam.

Politiker von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU nutzten die Gelegenheit, sich als Vorkämpfer gegen den Rechtsruck zu inszenieren und von ihrem Anteil an der Entwicklung – etwa die Verschärfung von Abschieberegeln am Donnerstag durch den Bundestag – abzulenken. So rief in Hannover Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Demonstranten dazu auf, im eigenen Umfeld klare Kante gegen rechts zu zeigen. Auch CDU-Chef Friedrich Merz, der regelmäßig gegen Asylsuchende hetzt, ließ die Gelegenheit nicht verstreichen und bezeichnete die bundesweiten Demonstrationen als ermutigend. Die »schweigende Mehrheit« erhebe ihre Stimme und zeige, dass sie in einem Land leben möchte, »das weltoffen und frei ist«, erklärte er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Zuvor hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Menschen gedankt, die bundesweit gegen rechts demonstrierten. Das zeige, dass es in der »Mitte der Gesellschaft« eine »breite Allianz« gebe, sagte er am Sonnabend in Düsseldorf. Wüst bezeichnete die AfD als »brandgefährliche Nazipartei«.

Bilder, und damit korrespondierende Zahlen von Bürgern auf den Straßen überall im Lande, sind eine für deutsche Verhältnisse äußerst ungewöhnliche Erscheinung. Natürlich hat es solche Massenveranstaltungen auch schon gegeben. Doch von denjenigen, die sich  noch daran erinnern können, lebt kaum noch jemand, so dass die Demonstrationen gegen rechts  von der aktuellen Schülergeneration bis zu den Omas und Opas gegen rechts als ein Novum erlebt werden, als eine schicksalhafte Bewegung, an der teilgenommen zu haben,  für viele Jahre als – vielleicht die erste – mutige und zweifellos erfolgreich wirksame Tat, in wohliger Erinnerung bleiben wird.

Auch der Präsident des konservativen Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte die Kundgebungen. »Ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht«, sagte er der Augsburger Allgemeinen vom Sonnabend.

Diese Demonstrationen bringen aber nicht den Wunsch nach einem „Weiter so!“ zum Ausdruck. Sie sind, auch wenn sie durchaus im Sinne der Regierung und der übrigen etablierten Parteien stattfinden, keine Zustimmung zur Ampel oder zu insgesamt 42 Jahre mitregieren der CDU.

Es sind Willensbekundungen für die Demokratie, weil selbst das Totalversagen einer demokratisch gewählten Regierung nur als das kleinere Übel erscheint, im Vergleich zum faschistischen Totalitarismus, der Deutschland droht, sollte jetzt nicht Haltung gezeigt werden.

Gut fand ich eine Zeile, die auch auf anderen Demos einige Male in Variationen zu sehen waren:  „Jetzt können wir herausfinden, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten“, Ebenso bei der Frage „Wie viele Hitler-Dokus braucht Ihr noch?“

Überhaupt merke ich, dass ich auf viele Relativierungen in Bezug auf die Demonstrationen in Hamburg und anderswo recht dünnhäutig reagiere. Klar, noch ist keine Wahl entschieden und man kann auf jedes „Ja“ ein „aber“ folgen lassen. Aber können wir vorher bitte einmal festhalten, dass Massenbewegungen der Art, wie sie am vorvergangenen Freitag und gestern in Hamburg stattgefunden haben, eine gute Sache sind? Ein gutes Zeichen, ein Signal, dass der Kompass beeindruckend vieler Menschen in der Stadt noch stimmt. 

Halten Sie kurz inne, und fragen Sie sich, ob Sie nicht auch mit auf die Straße gehen würden, wenn daraus die Hoffnung erwächst, die Wiederholung jener Gräuel verhindern zu können, von denen wir dank unserer ausgeprägten Erinnerungs- und Sühnekultur wissen, dass so etwas nie wieder geschehen darf.

Was aber – und das ist die große Frage – wird geschehen, wenn der Kampf gegen rechts gewonnen werden sollte? Wird dann eitel Freude und Sonnenschein im Lande herrschen? Wird dann die Inflation verschwinden? Wird wieder reichlich Energie zu günstigen Preisen verfügbar sein? Wird es bezahlbaren Wohnraum für alle geben? Wird es genug Geld für Schulen und Lehrer geben? Wird das Höfe sterben aufhören?

Was schlimm ist im Lande, wird wohl schlimm bleiben, so lange eine Politik weitergeführt wird, die uns dahin gebracht hat, wo wir stehen. Es kann sogar befürchtet werden, dass es eher noch schlimmer wird, wenn diese Politik fortgesetzt wird. Die bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament und zu den Landtagen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, erscheinen heute bereits nicht mehr als Wahlen im herkömmlichen Sinne, sondern als Aufforderung für linke Gegenbewegungen. Das zum Beispiel der Haushalt nicht auf Kosten der Beitragszahler saniert wird. Wir brauchen einen demokratischen, antifaschistischen Staat, der also in erster Linie die Interessen der Werktätigen, der abhängig Beschäftigten, das Soziale, den Ausbau eines Sozialstaates, der für uns alle handeln soll, statt die Profitmaximierung zugunsten einer Minorität, zu Ungunsten der Allgemeinheit, vertritt.

Abbildung: Auch in Köln versammelten sich am Sonnabend Tausende Menschen im Protest gegen AfD und Co.


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