Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem?

Es gibt kaum ein Land auf der Welt das Arbeit so stark besteuert wie Deutschland. Es gibt kaum ein Land auf der Welt das Vermögen inklusive Erbschaften und Schenkungen so gering besteuert wie Deutschland. Beispiel: 400 Milliarden werden jedes Jahr vererbt, aber kaum besteuert. Jemand der sich anstrengt sollte mehr haben, als jemand der sich nicht so anstrengt; welches aber nicht der Fall ist.

In Deutschland besitzen die reichsten 10% in der Vermögensverteilung 67,3 % aller Vermögen, das reichste Prozent besitzt 35%, während die ärmsten 50% insgesamt nur 1,2 % aller Vermögen besitzen. (Quellen: DIW 2020 und Bundesbank 2022). In Österreich besitzen die reichsten 10% in der Vermögensverteilung 70-75% des Gesamtvermögens, das reichste Prozent der Bevölkerung je nach Schätzung bis zu 50% des Vermögens. Die ärmsten 50% besitzen hingegen gerade einmal 2,5% des Gesamtvermögens (Ken-nickell et al., 2021, AK 2020, MI 2021).  In der Schweiz ist die Situation ähnlich, das reichste Prozent besitzt mehr als 40% des Vermögens während die ärmsten 50% weniger als 1,5% haben (BFS 2017, BFH 2017).

Diese extreme Ungleichheit ist auch Folge einer Steuerpolitik, die systematisch Vermögende privilegiert und die Besteuerung insbesondere von Vermögen und Erbschaften kontinuierlich verringert hat. Das Ergebnis ist eine demokratiegefährdende Machtkonzentration in Form von Kapital und Einfluss in den Händen von Wenigen, die der wachsenden materiellen Unsicherheit von Vielen gegenübersteht.

Chancengleichheit sei nicht mehr gegeben, wenn einzelne Personen so viel Geld besitzen, dass sie sich durch Lobbyarbeit in alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche einmischen und sogar die Rechtsprechung beeinflussen können. Denn wer gut vernetzt ist und Beziehungen hat, kann sich die Dinge eben auch richten lassen. „Eine der wichtigsten Erbschaftsgüter ist das Telefonbuch und nicht nur die Millionen.

„Arm und Reich“ global driften immer weiter auseinander. Es gibt zwar eine Armutsgrenze, aber keine Grenze für die Anhäufung von Vermögen. Mich regt es auf, dass sich selbsternannte Eliten in einer Demokratie überhaupt entwickeln können. Deshalb wäre ein breiter öffentlicher Diskurs über Geld und dessen faire Verteilung wünschenswert. In Deutschland haben wir eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, aber die ist mit solchen Ausnahmen vollgestopft, dass es eigentlich effektiv lächerlich ist. Weil nur zwei Prozent effektiv beim Fiskus von den jährlich rund 400 Milliarden vererbten Vermögen landen. Das ist ziemlich absurd. Es wird Zeit, das Vermögen von Überreichen angemessen besteuert wird, um ein Gleichgewicht herzustellen.

Wir müssen Überreichtum als gesellschaftliches Problem anerkennen und über sinnvolle Steuern sprechen, um Geld gerechter und demokratischer in der Gesellschaft zu verteilen. Wenn eine Regierung das nicht hinbekommt und weiterhin auf die Lobby des großen Geldes hört, dann wird es schwierig.

Digitalkapitalismus, Umweltausbeutung, Ungleichheit: Rund 150 Jahre nach Karl Marx hat der Kapitalismus Konjunktur. Wenn man den Gleichheitsgrundsatz konsequent durchdenkt, dann ist eine Verteilung von Vermögen durch transparente, demokratische und partizipative Strukturen nötig. Es kann doch nicht sein, dass reiche Menschen alle Möglichkeiten haben und effektiv die Macht in den Händen halten, arme Menschen dagegen in ihren gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten sehr begrenzt sind. Die Politik kommt in dem Punkt einfach ihren Aufgaben nicht nach. Wir müssen uns vor Augen führen, dass allein in Deutschland, wo jährlich etwa 400 Milliarden Euro vererbt werden, effektiv nur zwei Prozent beim Fiskus landen. Das ist absurd wenig! Überreiche werden massiv bevorzugt.

Ein Beispiel: Ein Erbe von 30 Wohnungen, der zahlt Erbschaftssteuer – ein Erbe von 300 Wohnungen aber nicht, weil das Ganze dann als Unternehmen gilt. Entschuldigung, aber: Erstens braucht man weder 30 noch 300 Wohnungen. Dafür gibt es kein dringendes menschliches Bedürfnis. Es braucht dringend demokratisch legitimierte Entscheidungen. Die Politik muss endlich ihre Hausaufgaben machen. Als Beispiel sehe ich eine nötige Umverteilung großer Vermögen in Bereichen wie Gesundheit, Bildung, auch öffentliche Infrastrukturprojekte, den Ausbau der Bahn etwa und Klima. Es gibt so viele Beispiele dafür, wie der Staat in die Gesellschaft investieren kann, die inklusiver sind als Lieblingsprojekte einzelner Überreicher. Zwar macht auch der Staat nicht alles perfekt, aber dafür gibt es die Medien als Kontrollinstanz.

Generell ist das deutsche Steuersystem ungerecht. Deutschland ist ein Niedrigsteuerland für Vermögen und die Ausnahme in der Erbschaftssteuer kostet dem Staat jährlich Milliarden. Es kann doch nicht sein, dass ein Mensch der Arbeiten geht ganz normal Steuern zahlt und nie gefragt wird, ob er das gut findet oder nicht. Und ein Mensch der erbt, der immer gefragt wird, ist das ok; ein bisschen, vielleicht, manchmal. Da allein schon zeigt sich das eigentliche Problem, es geht hier um Macht und wie sie verteilt wird. Steuerpolitik ist nicht nur ein Mittel um den Haushalt aufzubessern, sondern auch ein Mittel um Macht, die sich durch Vermögen bei Privat Personen und bei Eigentum kumuliert zu re-demokratisieren und zu re-sozialisieren.

Es wird oft so getan als wäre die Besteuerung von Vermögen durch unterschiedliche Steuerarten wie z.B. Erbschaftssteuer, Schenkungssteuer, Vermögenssteuer, Kapitalertragssteuer usw. eine private Angelegenheit. In Wahrheit ist es aber, sobald es in das Steuersystem hineinspielt, eine öffentliche Angelegenheit.

Das heißt, Reiche sollten nicht nur ihr Privatproblem hier zu lösen, sondern es geht wie bei anderen auch aufzuzeigen, dass diese öffentliche Debatte zur gerechten Verteilung von Vermögen an die Steuerdebatte geknüpft wird. Und wie schafft man es, ein demokratischen, transparenten, partizipativen inkl. Diskurs herzustellen um dafür zu sorgen, dass wir  nicht künstlich einen Geldadel herstellen, der besonders an Familienunternehmen gebunden ist. Nächte Frage wäre, wie können wir es so machen, dass Gerechtigkeit nicht das Maß derer ist, die davon profitieren, sprich die Reichen dürfen sagen was gerecht ist. Und wie kann man es so herstellen, dass wir eine Gerechtigkeit herstellen in dem wir Vermögen so aufteilen, dass eben die Demokratie nicht unterwandert wird.

Meine Vision wäre: Wir wollen Wohlstand, Teilhabe und soziale Sicherheit für alle. Die Voraussetzung dafür ist ein starkes und gerechtes Steuersystem, das auf demokratische und transparente Weise für Umverteilung sorgt und durch die Finanzierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen das Gemeinwohl stärkt.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Zugang zu Öffentlichkeit und Medien nicht von Vermögen oder Klassenzugehörigkeit abhängt. Ich finde es wichtig, dass Vermögende nicht zu den Ungerechtigkeiten, von denen sie profitieren, schweigen und sich stattdessen solidarisch an der öffentlichen Diskussion beteiligen. 

Deutschland versteht sich als Gesellschaft, in der Leistung belohnt wird. Doch der Großteil der Vermögen wurde nicht erarbeitet, sondern vererbt.

Die extreme Vermögensungleichheit in Deutschland birgt das Potenzial, unsere Gesellschaft zu spalten und der Wirtschaft zu schaden. Trotzdem erfährt die Vermögensungleichheit viel weniger Aufmerksamkeit als etwa die Einkommensverteilung (das Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2021 ist hierfür ein gutes Beispiel).

Die Vermögensungleichheit wird in Deutschland nicht direkt erfasst, sondern muss über verschiedene Erhebungen, Statistiken und Kalkulationen geschätzt werden. Seit die Vermögensteuer 1996 in Deutschland ausgesetzt wurde, fehlt uns zur Vermögensverteilung eine solide Datengrundlage. 

Zum Zeitpunkt der Abschaffung der Vermögensteuer war die Ungleichheit im historischen Vergleich relativ gering, das Verhältnis von privatem Vermögen zum Nationaleinkommen lag unter 400 Prozent und das reichste 1 Prozent der Bevölkerung besaß 26 Prozent des Vermögens. Heute ist das Verhältnis zwischen Vermögen und Einkommen mit 511 Prozent so hoch wie zuletzt 1917. Die privaten Vermögen in Deutschland sind also stärker gewachsen als die Wirtschaftsleistung und heute mehr als fünfmal so umfangreich.

Wenn die Schere zwischen Arm und Reich wieder geschlossen werden soll, müssen wir zunächst verstehen, woher die enormen Besitztümer der Reichen stammen und wie sie sich zusammensetzen. Vermögen kann entweder im Laufe eines Lebens angehäuft oder aber vererbt und verschenkt werden. Über die genaue Höhe der Erbschaften und Schenkungen in Deutschland können keine genauen Angaben gemacht werden, da die Erbschaftsteuer auf jeden einzelnen Erbvorgang statt insgesamt auf den Nachlass einer Person erhoben wird. Allerdings ist seit einigen Jahren von einer »Erbschaftswelle« die Rede – zu Recht. Denn nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beträgt die jährliche Erb- und Schenkungssumme zwischen 2012 und 2027 bis zu 400 Milliarden Euro.  Die Erbschaften und Schenkungen summieren sich somit auf mehr als 10 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts Deutschlands.

Die Frage nach der gerechten Besteuerung von Erbschaften wird weiter brisant bleiben. Dies belegen die empirischen Erhebungen zur demografischen Struktur der vermögenden Deutschen: 39 Prozent der Reichen sind 50 bis 64 Jahre und 38 Prozent über 65 Jahre alt; bei den Superreichen trifft dies auf 37 Prozent beziehungsweise 40 Prozent zu. Das bedeutet: Die Generation des Wirtschaftswunders vermacht den Babyboomern und ihren Nachkommen nun ihr Erspartes. 

Nicht nur die Summe der Erbschaften und Schenkungen ist gewachsen, auch der Anteil der Erbschaften am Privatvermögen hat zugenommen. In den frühen 1970er Jahren machte der kumulierte Bestand an ererbtem Vermögen einen Anteil von weniger als 25 Prozent am Privatvermögen aus. Inzwischen können wir von einem Anteil von über 50 Prozent ausgehen. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte aller Vermögen heutzutage nicht selbst erwirtschaftet, sondern vererbt und verschenkt wurde. Das Narrativ eines Gemeinwesens, das Leistung belohnt, verkommt zunehmend zum Märchen. 

Indes verstärkt unser jetziges Steuersystem diesen Trend, indem es Erbschaften (und Kapital generell) sehr viel niedriger besteuert als etwa Einkommen aus Lohn. Absurderweise kommt hinzu, dass auf besonders große Vermögen sehr viel weniger Steuern erhoben werden als auf kleinere Beträge. Erbschaften über 20 Millionen Euro werden etwa laut der neusten Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik durchschnittlich mit 2,8 Prozent belastet, Erbschaften unter dieser Schwelle im Durchschnitt mit 9,0 Prozent. Jemand, der hingegen über 2.500 Euro im Monat durch seiner eigenen Hände Arbeit erwirtschaftet, zahlt darauf mehr als 10 Prozent Steuern.

Oftmals wird die niedrige Steuerquote damit begründet, dass es sich bei Erbschaften um Vermögen handele, das bereits versteuert wurde. Diese Argumentation ist rein normativ und von dynastischem Besitzstandsdenken sowie dem Verständnis geprägt, dass Vermögen über den Tod hinaus quasi im selben, da familiären, Besitz bleibt. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Gemäß der Ausgestaltung des deutschen Steuerrechts sind Erbschaften und Schenkungen neues, unverdientes Vermögen. Das bedeutet: Auf dieses Vermögen wurden zum Zeitpunkt, an dem es an die neuen Eigentümer übergeht, noch nie Steuern bezahlt. Das Narrativ der Doppelbesteuerung entbehrt jeglicher juristischen Grundlage. Denn die Steuer fällt – anders als in den USA – auf die Erben, nicht die Erblasserinnen.

Darüber hinaus ist wichtig zu betonen, dass diese Form der Besteuerung unserem Steuersystem grundsätzlich inhärent ist: Wenn Geld den Besitzer wechselt, wird es versteuert. So auch beim Bäcker: Wer sich ein Brötchen kauft, tut dies mit bereits versteuertem Einkommen – und dennoch fällt auf den Kauf die Mehrwertsteuer an. Nicht anders verhält es sich mit Erbschaften und Schenkungen. Ja, der Erblasser zahlte bereits Steuern – die Erbinnen aber eben nicht. Dennoch zahlen Erben effektiv sehr viel weniger Steuern auf ihr unverdientes Vermögen, als jemand, der für seine Brötchen einer Erwerbsarbeit nachgeht.

Der hohe Anteil der Erbschaften am Gesamtvermögen weist auch darauf hin, dass diese eine hohe Auswirkung auf die Ungleichheit haben – zumal sie kaum besteuert werden. Bis in die 1970er Jahre machten die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer weniger als 0,5 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Erst 2016 wurde die Grenze von 1 Prozent am Gesamtsteueraufkommen erreicht. Selbst Raucher tragen durch die Tabaksteuer mehr zur Finanzierung des Staatshaushalts bei als Erben. Die Einnahmen aus der Tabaksteuer belaufen sich auf 14,3 Milliarden Euro, die aus Erbschafts- und Schenkungssteuer auf 8 Milliarden Euro. Einerseits lässt sich das niedrige Steueraufkommen durch hohe Freibeträge erklären, aufgrund derer ein erheblicher Anteil an Erbschaften kaum oder gar nicht besteuert wird (derzeit beträgt der Freibetrag 500.000 Euro für Ehegatten und 400.000 Euro für Kinder). 

Andererseits gibt es aber auch immense Steuervorteile, die vor allem große Erbschaften verschonen. Eine Anfrage des Netzwerks Steuergerechtigkeit hat ergeben, dass im Jahr 2021 zehn »bedürftige« Firmenerbinnen und Firmenerben einen Steuererlass von knapp einer halben Milliarde Euro erhielten. Und generell gilt: Ab 10 Millionen Euro wirkt die deutsche Erbschaftsteuer nicht mehr progressiv, sondern sinkt prozentual zur Gesamterbschaft stark ab. »Damit wirkt die Erbschaftsteuer in der Praxis regressiv«, wie der Steuerexperte Stefan Bach betont.

Der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, macht Erbschaften als den wichtigsten Faktor für die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland aus. Bereits heute läuft die Verteilung von Erbschaften und Schenkungen nach dem Matthäus-Effekt: »Denn wer hat, dem wird gegeben.« Derzeit erhalten die reichsten 10 Prozent der Gesellschaft die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen, während die ärmere Hälfte fast nichts oder sogar Schulden erbt. 

Erbschaften werden voraussichtlich auch künftig starke Auswirkungen auf die Vermögensverteilung haben. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer groß angelegten Studie. In einer relativ konservativen Berechnung verschiedener Szenarien stellt die OECD dar, was mit hohen Vermögen geschieht, wenn Erbschaften und Vermögen nicht stark und progressiv besteuert werden. Über einen Zeitraum von fünf Generationen können die Reichen und Superreichen in ausnahmslos allen Modellen ohne hohe und stark progressive Steuern auf Erbschaften zusehen, wie ihr Kapital von 10 Millionen US-Dollar auf die horrende Summe von 60 Milliarden US-Dollar anwächst. Indem Staaten diese Vermögen unangetastet lassen, verhöhnen sie Menschen, die tatsächlich für ihren Lebensunterhalt arbeiten und ordentlich Steuern zahlen.

Ohne eine Änderung der Erbschaftsteuer und eine Beendigung der exzessiven Steuerprivilegien für Superreiche wird Deutschland nicht nur zunehmend zu einer Erbengesellschaft verkommen – der Status quo gefährdet die Demokratie.


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